Sprache ist allgegenwärtig im Werk von Maude Léonard-Contant. Wenn auch nur andeutungsweise. Sie ist gleichzeitig anwesend und abwesend. Sie ist oft nicht wirklich sichtbar, sondern spürbar, ahnbar. Die Künstlerin schafft es auf einzigartige Weise Sprache zu thematisieren, ohne Sprache wirklich zu zeigen. Sie bewegt sich oft im Bereich des Vorsprachlichen, also an der Grenze zum Lesbaren, an der Grenze zum Verstehbaren. Sprache manifestiert sich in Objekten, in Gouachen oder wird umgekehrt in Geschriebenem zur Skulptur. Sprachliches, Vorsprachliches und Nichtsprachliches gehen Hand in Hand und kreieren einen grossen Frage- und Erfahrungsraum zum Thema unterschiedlicher Wahrnehmungen.
Die Jury würdigt den äusserst sensiblen Umgang mit den unterschiedlichsten Materialien und das Herausarbeiten der Sprachfähigkeit von Materialien und Formen. Die Künstlerin präsentierte für die «Werkbeiträge 15» drei Werke aus unterschiedlichsten Materialien, die als Einzelwerke bestehen und in der Kombination, in der Präsentation als Ganzes, sich gegenseitig aufladen, in ein Gespräch, einen wechselseitigen Austausch treten. Die 3 Meter lange Arbeit «Aphonica loose TS», ein grosser, sanft und weich geschwungener Schnörkel, aus Bambus und Shellak geformt und mit langen Stiften schwebend vor die Wand gesetzt, visualisiert und verkörpert den Umgang der Künstlerin mit Sprache und Objekt auf exemplarisch schöne Weise. Der Schnörkel geht auf Tristram Shandy, ein zwischen 1759 und 1767 erschienener Roman des englischen Schriftstellers Laurence Stern zurück. Dort taucht dieses Zeichen immer da auf, wo die Worte fehlen, wo ein Satz begonnen, unterbrochen und viel weiter hinten im Roman fortgesetzt wird. Es steht also eigentlich für eine Leerstelle, einen leichten Schwindel, ein sich, bewusst oder unbewusst, in der Sprache, in den Gedanken, im Raum Verlieren. Mit dem Namen der Arbeit deutet Maude Léonard-Contant auf eine eigene Schrift hin, wie Times New Roman oder Arial, nur steht diese Schrift für eine sprachliche Lücke. Geschrieben mit Bambus, ein uraltes und immer wieder neu wachsendes Bau- und Formmaterial, das in langsamer, aufwändiger Weise aus der Geraden in die geschwungene Form gebogen wird.
Die beiden Schalen in «Blurt» sind aus einem Himalayasalzblock geschnitten, gemeisselt. Was ein Grund, eine Form, eine Materie war, wird getrennt und geformt und nebeneinander auf den Boden gestellt. Zwei Gefässe nun aus wunderschönem marmorisierendem Salz: ein aufregender Widerspruch, weil jeder Gebrauch der beiden Gefässe sie sofort auflösen, entfunktionalisieren würde. Schliesslich eine Reihe von Tafeln hingelegt wie Mario Merz seine Iglus dachte und konstruierte, wie Richard Long seine Spuren zieht, in geschwungener Form präsentiert, andeutend, sprechen und bedeuten wollend, doch stumm, nur mit einer kleinen Gouache belegt, andeutungsweise einen Mund formulierend, bereit zu Sprechen.
Der Umgang mit den Materialien, das Spiel mit Sprache und Vorsprachlichem, die Reduktion auf einfache Formen, haben in ihrer Kombination die Jury überzeugt.